Im Dienste der Kirche
Aus einem kurzen Messdienerleben
von Franz-Heinrich Bunge
Eines Tages war sie ganz einfach da: die
Berufung zum Messdiener. Sie
erreichte fast jeden Jungen, der im Schatten des Kirchturms aufwuchs.
Einzige dienstliche Voraussetzung war der Besitz des „Laudate“. Denn man
musste einige Phasen des Gottesdienstes auf Latein bewältigen können, und
das waren alle darin mit einem M bezeichneten Abschnitte auf den Seiten
241-262.
Also marschierte man mit klopfenden Herzen und ordentlich gekämmt zu dem
Haus von F.v.W, unserem Küster und Organisten. Ihn informierte man von der
Berufung und bekam auch gleich die erste Hausaufgabe: „Vaterunser“ und
„Glaubensbekenntnis waren in der Sprache der alten Römer zu lernen. Bei der
Generalprobe eine Woche später gab es für mich Probanden ein böses Erwachen:
mein andächtiges „Dois mois“ wurde belächelt, es hieße doch „Deus meus“.
Woher sollte ich das wissen? Aber irgendwann waren wir des Kirchenlateins
mächtig und wurden von erfahrenen Ministranten in die Zeremonien des
Gottesdienstes eingeführt. Unsere Dienste waren außerdem gefragt bei
Beerdigungen, Versehgängen, Prozessionen und Bischofsempfängen.
Begehrt war die Teilnahme an Versehgängen: Kurz nach 8 Uhr – wenn die
Altersgenossen in die Schule hetzten – eilten wir, mit Laterne und Glöckchen
ausstaffiert, zusammen mit dem Geistlichen aus dem Hauptportal der Kirche
zum Marktplatz und besteigen dort das Taxi von Knälmann. Dies brachte uns
dann ans Ziel, meistens zu einem der Höfe in den Bauerschaften. Nach der
Krankenkommunion wurden wir fast immer ins Wohnzimmer gebeten, wo auf uns
ein gut belegtes Butterbrot mit einer Tasse Milch wartete. Pastor Uptmoor
servierte man Kaffee und dazu die obligatorische Zigarre – natürlich nicht
in der Fastenzeit: dann war sie für ihn tabu.
Beerdigungen empfanden wir Kinder als belastend: die Atmosphäre bedrückte
uns doch. Zumal wir viele Verstorbene und / oder ihre Familien kannten.
Unsere geringe Motivation erhielt eines Tages den endgültigen Garaus durch
folgenden Vorfall, Alptraum aller Messdiener: Helmut Stuke hatte sich mit
dem Vortragekreuz an das Kopfende des Grabes gestellt, als der Sandboden
unter ihm nachgab und er in die Tiefe rutschte. Die wütende Reaktion von
Kösters Franz ist wortwörtlich überliefert: „Wat wullt du daor? Kumm herut!
Hinweis an den ungläubigen Leser: Pias Pater Franz-Josef hat mir diesen
Fall in Gegenwart von Dechant Ortmann bezeugt.
An besonders hohen Festtagen wurde den Gläubigen die Monstranz mit der
Hostie gezeigt. Vor dieser Zeremonie musste ein Messdiener das Velum holen,
uns fälschlicherweise als Zingulum verkauft, mit dessen Ende dann die
Monstranz an ihrem Hals umfasst wurde. Dieses Tuch hielt der Sohn des
Küsters in dem Gang zur Sakristei parat. Wenn der Moment der Übergabe kommen
sollte, gab er einen Zischlaut von sich, worauf unserein zu ihm eilte und
das Riesentuch übernahm, um es dann dem vor dem Altar knieenden Priester um
die Schultern zu legen. G.von Wahlde hatte – fälschlicherweise – seinen
Spitznamen weg: Zingo.
Besonders begehrt war das Dienen in der Christmette: Wir Jungen durften
Heiligabend länger aufbleiben und am 1. Weihnachtstag eben ausgiebiger
schlafen.. Kösters Franz klärte den Andrang auf dieser Sonderschicht durch
eine verblüffend einfache Methode: die Aspiranten versammelten sich in der
„neuen“ Sakristei, ergriffen ein ordinäres Schälmesser aus Kösters Finaos
Haushalt und stachen es bis zum Knauf in den oberen Rücken des Messbuches.
Lag die Spitze auf einem der Anfangsbuchstaben des Alphabets, hatte man
gewonnen. Diese Auswahlmethode wurde von allen Messdienern klaglos
hingenommen, bis die Zwillingen Cappi, Josef und Clemens Deters, zu uns
stießen. Sie stritten zeitlebens um ihren Termin der Erstgeburt und
dementsprechend um den Einsatz bei solchen Veranstaltungen.
Gefürchtet war die Karfreitagsliturgie wegen ihrer Länge. Dabei
interessierten wir Burschen uns nur dafür, ob Pastor Uptmoor, der in einer
bestimmten Phase der Zeremonie aus dem Mittelgang heraus den Altar auf
Socken zu erreichen hatte, auch von seiner Haushälterin Anna sorgfältig
gestopfte Fußwärmer vorweisen konnte.
Die Karriere eines Steinfelder Messdieners endete in der Regel dann, wenn er
zu einer weiterführenden Schule wechselte und damit nicht mehr für die
wochentäglichen Gottesdienste zur Verfügung stand. Aber wir Jungen aus den
Familien Honkomp und Bunge waren während der Sommerferien manchmal im
Großeinsatz. Da natürlich zu dieser Zeit sich mehrere Missionare auf
Heimaturlaub befanden und ihre Pflichtmessen in der Kapelle des
Krankenhauses feierten, waren wir oft ab 5 Uhr früh im Einsatz und mussten
manchmal bis zu5 Gottesdiensten ministrieren. Barmherzige Oberinnen ließen
uns dann zwischendurch ein Butterbrot aus der Hausbäckerei mit einem Glas
Milch zukommen. Bernd von Wahlde warf seine Wegzehrung immer
zusammengeklappt Burdieks Hühnern hin. So unterschiedlich waren die
Geschmäcker!
Einige von uns Messdienern hatten wohl das Vertrauen von Kösters Franz
gewonnen, allerdings sollte es eines Tages abrupt enden: einmal in der Woche
hatten wir früh Schulschluss, dass er uns das mittägliche Läuten beibringen
konnte. Das zeremonielle Ziehen des Glockenstranges hatten wir schnell
kapiert. Eines Tages nahmen wir zum Kleppen auch Hans Peter Koslitzki mit,
um ihm die Raffinessen des Läuten einzuweisen. Kossi, zeitlebens ein
absolutes Leichtgewicht, zog mit uns am Strang. Als wir Schwergewichtigeren
aber plötzlich das Seil losließen, flitzte er auf das Doch des Fleerburs
(Windfang des Hauptportals). Reaktion von Kösters Franz: ewige Verdammnis,
für uns war die Karriere eines Glöckners von St. Johannes vorbei.
Man bedenke: Im 4. Schuljahr übernahmen wir jungen ein wirkliches Ehrenamt,
das nur zu Weihnachten durch eine bunte Tüte und einen Messdienerkalender
belohnt wurde, abgesehen von den 50 Pfennig bei Versehgängen, die Pastor Uptmoor manchmal aus eigener Tasche bezahlt, wenn der Hofbesitzer klamm war.