Bis
Mitte der 50er Jahre konnte man sie noch auf Teichen und Bächen vereinzelt
schwimmen sehen: zigarrenförmige Hohlkörper aus Metall, ehemals von
Feindflugzeugen“ im 2. Weltkrieg als Zusatztanks genutzt und nach Gebrauch
abgeworfen. Sie waren hervorragend als Paddelboote geeignet, da ihr Mittelsteg
eine Sitzmöglichkeit bot.
Der nach dem Ende des Korea-Krieges (1953) sich verschärfende Kalte Krieg machte sich auch in unserer Gemeinde bemerkbar: Die Anzahl von Truppenbewegungen und Manövern nahm erheblich zu. Wegen des geringen heimischen Autoverkehrs konnte man anrollende Panzer- und LKW-Kolonnen schon von weitem hören. Wir Kinder rannten an die jeweilige Durchgangsroute, stellten uns an den Straßenrand, salutierten und riefen eindringlich gegen den Motorenlärm an: „Chocolate! Chocolate!“ Fast immer gab es Süßigkeiten. Eines Tages war Schluss damit: Während einer dieser Begrüßungszeremonien am Dicken Stein sprang G.S. aus unseren auf die Straße, um eine Mini-Tafel Schokolade vor dem Plattgefahrenwerden zu retten. Dabei wurde er selbst von einem LKW erfasst und musste leicht-verletzt ins Krankenhaus gebracht werden. Die nächste „Jubelparade“ vereitelte dann Dorfsheriff Skupnick, der uns einfach verscheuchte.
Die größte Militärkolonne, die Mitte der 50er Jahre unseren Heimatort durchfuhr, ist mir in lebhafter Erinnerung geblieben: eine britische Brigade (?) mit Panzern und Schützenpanzern rollte von Osterfeine her kommend die Bökenbergstraße herunter und bog dann zwischen den Grundstücken Anton Bunge und Josef Honkomp nach rechts auf die Diepholzer Straße. Die Wände unseres alten Hauses wackelten; da an Schlaf nicht zu denken war, hingen wir Kinder die ganze Nacht am Fenster und beobachteten den permanenten Ablauf: Geschwindigkeit bei Berdings Werkstatt drosseln, langsames heranfahren an die rechtwinklige Kurve, Stillegen der rechten – gleichzeitiges Durchdrehen der linken Panzerketten, einbiegen in die Diepholzer Straße, brüllendes Donnern der Motoren und weiter. Nach wenigen Stunden hatten die „Tanks“ den Kurvenabschnitt völlig zerstört, die letzten Fahrzeuge rollten um ein mannshohes Loch, das abschließend von einer Pioniergruppe einfach zugeschoben wurde. Tage später kamen Gemeindearbeiter mit einem Bagger, hoben die Füllmasse heraus, sortierten Steine und Sand und setzten den Abschnitt wieder in Stand. Aufmerksamster Beobachter aber war Vater Josef H., der die ganze Nacht über mit einer Schaufel bewaffnet auf einer Betonplatte stehend Wache in der Kurve hielt – er bangte um seinen darunter liegenden Hausbrunnen.
Das
große Herbstmanöver einer niederländischen Infanterie-Einheit prägte den
gesamten Ort: Während die Fahrzeuge unter den Eichen der alten Hofstellen und
in Scheunen abgestellt waren, campierten die Soldaten in zwei Mann-Zelten auf
ortsnahen unbestellten Äckern, unter anderen hinter „Klapphaokens“. Ludger
H. und ich freundeten uns dort mit einem Infanteristen an. Seine Adresse habe
ich nach fast 50 Jahren immer noch behalten: Rudi van Laren, Klanderejstr. 18,
Leeuwarden. Ihm und seinem Kameraden schmuggelten wir Alkohol ins Zelt. Und
dienten ihnen auch als Postillion d´amour, in dem wir Briefe bei H.v.W.
abgaben, auf die beide ein Auge geworfen hatten. Zur Belohnung erhielten wir
bunten Hagelzucker. Einen Beleg für die Fraternisierungsversuche der beiden
Waffenbrüder besitze ich heute noch: ein Schwarz-Weiß-Foto, Ludger H. und ich
knieend mit je einem niederländischen Karabiner in den Händen, dahinter H.v.W.
stehend vor ihrem Hauseingang, flankiert von den NATO-Partnern – allerdings
nur ab Höhe Bauchnabel abwärts.
Das
soldatische Getue der Großen blieb nicht ohne Wirkung auf uns Kleine, zumal wir
während und nach den Manövern für uns wertvolle Funde machten: Platzpatronen,
Benzinkanister, die zusammen-gebunden tolle Flöße ergaben, sofern man als
Auflage eine Klappe aus einem Schweinestall organisieren konnte; viele Kilometer
Telefonkabel, deren Wiederaufrollen die sogenannten „Kabelaffen“ wohl
unterlassen hatten.
Und
so hielten auch wir unsere Manöver ab. Standortübungsplatz war ein Grundstück
an der Bökenbergstraße 100 m hinter Bäckers Edu. In dem lehmigen Abhang am
Esch gruben wir einen Bunker, der mit seinen Zugängen natürlich auch gegen
Luftaufklärung getarnt war. Als Pak (Panzerabwehrkanone) fungierte das
Untergestellt eines Kinderwagens, auf dem ein Ofenrohr befestigt war. Mit Hilfe
einer Flitsche konnten wir daraus mögliche Feine mit Steinen und Kastanien
beschießen. Jeder Kämpfer besaß einen echten Stahlhelm, die Holzgewehre
drechselte uns Berdings Opa. Sogar Bajonette nannten wir damals unser Eigen,
auch wenn sie zwischendurch unmilitärisch zum Zerhacken von Kohlstrünken
eingesetzt wurden. Großen Eindruck schunden die drei Kämpfer aus der Familie
H.: ihnen hatte Tante Rosa aus Zeltstoff der unterlegenen deutschen Wehrmacht
Hosen auf den Leib genäht, die bis knapp unter die Achseln reichten, um so das
Durchwaten von Saols Diek zu ermöglichen. Einen Offizierssäbel aus
Kaiserszeiten für 8,- DM holten wir per Rad aus der fernen Kreisstadt Vechta.
Schrotthändler N., der damals viele Militaria + Hitlerbüsten auf Lager hatte,
wurde später eingebuchtet: er hatte auffällig oft mit Häufchen von 50
Pfennig-Stücken bezahlt, die er eigenhändig geprägt hatte. Ein echter Orden
schmückte die Brust meines Bruders Fritz: das Mutterkreuz, das
Ortsgruppenleiter „Lösken Heini“ meiner Oma
(Sternbusch Marie) „im Auftrag des Führers“ kurz vor ihrem Tod
verliehen hatte. Der von uns Rambo-Typen als Feldkaplan ausersehene Josef H.
lehnte die geistliche Betreuung empört ab. Er hatte nämlich mitbekommen, dass
einer unserer Helden einen Frosch durch Aufblasen zum Platzen gebracht hatte.
Wir beschimpften ihn als „Poggenpater“. Aber: Auf seiner Primiz Jahre später
organisierten wir zum Ärger von Pastor U. und zum Erschrecken der Schwestern
des Heiligen Franziskus ein Böllerkommando. Josef H. wirkt heute als beliebter
Seelsorger in der Gemeinde Bakum.
Irgendwann war das Kriegsspielen nicht mehr altersgemäß. Den Aufbau der Bundeswehr bekamen wir aus eigener Anschauung mit: manchmal rumpelten Panzer der Typen M41 und M48 durch den Ort, dazu MTW (Mannschaftstransportwagen) und Schützenpanzer HS 30, mit dessen Macken ich 1965/66 als Kommandant selber zu kämpfen hatte. Der Fliegerhorst Diepholz nervte uns vor allem in Sommernächten: die Piloten übten in ihren Piaggio Start und Landung mit Schleifefliegen über unserem Kirchturm. Und irgendwann tauchten über uns auch die ersten Bundeswehrdüsenjäger auf – es waren Fiat G 91. Übrigens: von unseren maximal acht Rambos wurden nur vier der Bundeswehr für würdig befunden.