Heimatverein Steinfeld e.V.
- Geschichten -
Auswanderung:
Hoffnung auf Brot, Freiheit und Selbständigkeit
Von Rudi Timphus
Fast 30 % der Bevölkerung in der Gemeinde Steinfeld sind zwischen 1830 und 1880 ausgewandert. 30 % der Einwohner haben ihre Heimat verlassen, ihre Familien, Freunde, Freundinnen und Nachbarn. Wie groß muss die Not, muss die Verzweiflung gewesen sein, dass man diesen Schritt getan hat. Und wie viel wären sicher noch gerne mitgezogen, doch hatten sie letzten Endes doch nicht die Kraft oder den Mut.

Die Gemeinden im Südkreis Vechta waren hoffnungslos überbevölkert: unfruchtbarer Boden, es gab noch keinen Kunstdünger, relativ kleine Bauernhöfe und jeder Bauer mit einer Größe von 30 – 50 Hektar hatte vier bis sechs Heuerleute Familien. Es kam vor, dass auf einem Bauernhof bis zu 40 oder gar 50 Menschen wohnten und vom Hof ernährt werden mussten. So war man ständig auf einen Nebenerwerb angewiesen. Die wenigen handwerklichen Betriebe reichten nicht aus, um ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Gewiss man versuchte sich im Spinnen, Weben, Körbe und Besen flechten bzw. binden. Aber die Absatzmöglichkeiten hielten sich in Grenzen.

Seit dem Ende des 30jährigen Krieges (1618-1648) zog man nach Holland zum Torfstechen und Grasmähen oder auch sehr viele bereits nach Holland zur See, meist als Heringsfänger, aber auch auf große Fahrt.
Es war ein harter Job. Gewiss, man nahm Speck und Wurst mit nach Holland, verbrachte die drei Monate in einer Torf- oder Plaggenhütte, arbeitete vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang im Akkord. Und wenn die Zeit der Getreideernte war, musste man wieder rechtzeitig zu Hause sein. Man musste die eigene, wenn auch geringer Ernste einbringen und vor allem auch beim Bauern seine Dienste. Alles konnte man der Frau, die ja auch meistens viele Kinder zu versorgen hatte, ja auch nicht aufbürden.

Und als dann die gezahlten Löhne in Holland immer niedriger wurden, gab man in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts diesen Nebenerwerb auf.
Beschleunigt wurde das Ende aber allem auch durch das sogenannte Nervenfieber, das sehr viele Hollandgänger dahinraffte, aber auch viele Familienangehöriges, da diese Krankheit stark ansteckend war.

Längst hatte man sich der gefährlichen See zugewandt, zog zu Fuß bis nach Stettin, Bremen , Emden und Amsterdam. Und das bereits mit 14 Jahren.
Nicht die Abenteuerlust trieb die Menschen auf See, sondern die Not. So blieb als letztes Ventil, der Überbevölkerung entgegenzuwirken, die Auswanderung.

Was hat sich damals, vor allem zwischen 1832 und 1880 in den Heuerlingsfamilien, aber auch bei den Bauernsöhnen und –töchtern abgespielt.
Und das vor allem in den ersten Jahren der völligen Ungewissheit. Sehr unterschiedliche Rückmeldungen von den ersten Auswanderern kamen zurück. Und bis heute hat sich der „Snack“ gehalten: „Wenn du hier dein Brot noch hast, so bleibe hier;  wegen der Butter brauchst du nicht nach Amerika zu gehen".
Tagelang, wochenlang, monatelang wurde diskutiert, meistens hinter verschlossenen Türen. Wer soll zuerst den Schritt wagen? Was geschieht mit den Eltern, die den  Schritt nicht mehr wagen wollen. Jedem war zu jener Zeit klar: Wer den Schritt wagte, der sah seine Freunde, seine Familienangehörigen niemals wieder. Es sei denn, sie würden hinter herziehen. Aber dennoch: Die Verlockungen waren groß. Letzten Endes machte man es ja auch nicht so sehr für sich, sondern vor allem für die Kinder. Ansonsten gab es für sie keine Zukunft.

Es klingt vielleicht ein wenig makaber, aber man kann es immer wieder beobachten: Man wartete mit der Auswanderung, bis die Eltern gestorben waren. Wie schwer der Schritt war, spiegelt sich vielleicht ein wenig in einem Brief des Auswanderers aus der Familie Willenborg Mitte des 19. Jahrhunderts. Hier heißt es: „Ja, so geht es in der Welt, wenn Eltern und Kinder, Brüder und Schwestern so lange das liebe tägliche Brot in Frieden und Freuden zusammen gegessen haben und sich auf einmal trennen müssen von einem Ort zum anderen, bald hier, bald dort. Es ist gerade als wenn eine Kanonenkugel dazwischenkommt, dass kaum einer bemerkt, wo der andere geblieben ist. Wir müssen uns darauf verlassen, dass wir uns in der Ewigkeit wiedersehen“.

Auch das herzogliche Amt Oldenburg warnte die Menschen vor der „Sucht der Auswanderung“. Wer auswanderte, verlor für immer die Untertanenrechte, d.h. die Staatsbürgerschaft wurde für immer aberkannt. Man sah aber durchaus auch sicherlich die Gefahr der Auswanderung für die Region, denn es waren ja gerade die jungen Leute, die der Heimat den Rücken kehrten und die Alten blieben meistens zurück.

Um der Auswanderung entgegenzuwirken, versuchte man von den Gemeinden vor Ort die genauen Gründe zu erfahren. Und so schrieb das Amt Steinfeld am 4.August 1834 nach Oldenburg:
Die Hauptursache der Auswanderung wird bei den Heuerleuten veranlasst:

Dem kann man noch einen weiteren Ausschnitt aus dem vorhin bereits erwähnten Auswandererbrief hinzufügen:
„Ich habe aus Blöckers Brief gesehen, dass Euer Sohn Franz aus dem Mast gefallen und gestorben ist; das betrübt uns sehr. Eben deswegen sind wir nach Amerika gegangen, dass unsere Kinder von der See befreit werden und von den Soldaten. Hier ist ein freies Land, ein jeder kann nachgehen und machen was er will“.

Wenn man zusammenfasst war es:

  • die hoffnungslose wirtschaftliche Situation in der Heimat in der man keinen Silberstreif am Horizont erkennen konnte; es gab keine Zukunft für die Kinder.
  • Vor allem aber war es das Streben nach Freiheit, Unabhängigkeit, Selbständigkeit, endlich einmal auf eigenen Beinen stehen.

  • Dafür opferte man die Heimat. Die Verzweiflung muss groß gewesen sein, denn keiner wusste so recht, was einem in Amerika erwartete, zu unterschiedlich
    waren die Meldungen. Aber immer mehr gingen dieses Abenteuer ein, das oftmals bereits mit der Überfahrt begann.
    Später in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Entschluss leichter. Dann hieß es immer wieder: „Der ältere Bruder hatte ihnen den Weg bereitet“.



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