Die Gemeinden im Südkreis Vechta waren hoffnungslos überbevölkert: unfruchtbarer Boden, es gab noch keinen Kunstdünger, relativ kleine Bauernhöfe und jeder Bauer mit einer Größe von 30 – 50 Hektar hatte vier bis sechs Heuerleute Familien. Es kam vor, dass auf einem Bauernhof bis zu 40 oder gar 50 Menschen wohnten und vom Hof ernährt werden mussten. So war man ständig auf einen Nebenerwerb angewiesen. Die wenigen handwerklichen Betriebe reichten nicht aus, um ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Gewiss man versuchte sich im Spinnen, Weben, Körbe und Besen flechten bzw. binden. Aber die Absatzmöglichkeiten hielten sich in Grenzen.
Seit dem
Ende des 30jährigen Krieges (1618-1648) zog man nach Holland zum
Torfstechen und Grasmähen oder auch sehr viele bereits nach Holland
zur See, meist als Heringsfänger, aber auch auf große Fahrt.
Es war ein harter Job. Gewiss, man nahm Speck und Wurst mit nach Holland,
verbrachte die drei Monate in einer Torf- oder Plaggenhütte, arbeitete
vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang im Akkord. Und wenn die Zeit
der Getreideernte war, musste man wieder rechtzeitig zu Hause sein. Man
musste die eigene, wenn auch geringer Ernste einbringen und vor allem auch
beim Bauern seine Dienste. Alles konnte man der Frau, die ja auch meistens
viele Kinder zu versorgen hatte, ja auch nicht aufbürden.
Und als dann die gezahlten Löhne in Holland immer niedriger
wurden, gab man in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts diesen Nebenerwerb
auf.
Beschleunigt wurde das Ende aber allem auch durch das sogenannte Nervenfieber,
das sehr viele Hollandgänger dahinraffte, aber auch viele Familienangehöriges,
da diese Krankheit stark ansteckend war.
Längst hatte man sich der gefährlichen See zugewandt, zog
zu Fuß bis nach Stettin, Bremen , Emden und Amsterdam. Und das bereits
mit 14 Jahren.
Nicht die Abenteuerlust trieb die Menschen auf See, sondern die
Not. So blieb als letztes Ventil, der Überbevölkerung entgegenzuwirken,
die Auswanderung.
Was hat sich damals, vor allem zwischen 1832 und 1880 in den Heuerlingsfamilien,
aber auch bei den Bauernsöhnen und –töchtern abgespielt.
Und das vor allem in den ersten Jahren der völligen Ungewissheit.
Sehr unterschiedliche Rückmeldungen von den ersten Auswanderern kamen
zurück. Und bis heute hat sich der „Snack“ gehalten: „Wenn du
hier dein Brot noch hast, so bleibe hier; wegen der Butter brauchst
du nicht nach Amerika zu gehen".
Tagelang, wochenlang, monatelang wurde diskutiert, meistens hinter
verschlossenen Türen. Wer soll zuerst den Schritt wagen? Was geschieht
mit den Eltern, die den Schritt nicht mehr wagen wollen. Jedem war
zu jener Zeit klar: Wer den Schritt wagte, der sah seine Freunde, seine
Familienangehörigen niemals wieder. Es sei denn, sie würden hinter
herziehen. Aber dennoch: Die Verlockungen waren groß. Letzten Endes
machte man es ja auch nicht so sehr für sich, sondern vor allem für
die Kinder. Ansonsten gab es für sie keine Zukunft.
Es klingt vielleicht ein wenig makaber, aber man kann es immer wieder beobachten: Man wartete mit der Auswanderung, bis die Eltern gestorben waren. Wie schwer der Schritt war, spiegelt sich vielleicht ein wenig in einem Brief des Auswanderers aus der Familie Willenborg Mitte des 19. Jahrhunderts. Hier heißt es: „Ja, so geht es in der Welt, wenn Eltern und Kinder, Brüder und Schwestern so lange das liebe tägliche Brot in Frieden und Freuden zusammen gegessen haben und sich auf einmal trennen müssen von einem Ort zum anderen, bald hier, bald dort. Es ist gerade als wenn eine Kanonenkugel dazwischenkommt, dass kaum einer bemerkt, wo der andere geblieben ist. Wir müssen uns darauf verlassen, dass wir uns in der Ewigkeit wiedersehen“.
Auch das herzogliche Amt Oldenburg warnte die Menschen vor der „Sucht der Auswanderung“. Wer auswanderte, verlor für immer die Untertanenrechte, d.h. die Staatsbürgerschaft wurde für immer aberkannt. Man sah aber durchaus auch sicherlich die Gefahr der Auswanderung für die Region, denn es waren ja gerade die jungen Leute, die der Heimat den Rücken kehrten und die Alten blieben meistens zurück.
Um der Auswanderung entgegenzuwirken, versuchte man von den Gemeinden
vor Ort die genauen Gründe zu erfahren. Und so schrieb das Amt Steinfeld
am 4.August 1834 nach Oldenburg:
Die Hauptursache der Auswanderung wird bei den Heuerleuten veranlasst:
Wenn man zusammenfasst war es:
Dafür opferte man die Heimat. Die Verzweiflung muss groß
gewesen sein, denn keiner wusste so recht, was einem in Amerika erwartete,
zu unterschiedlich
waren die Meldungen. Aber immer mehr gingen dieses Abenteuer ein, das
oftmals bereits mit der Überfahrt begann.
Später in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Entschluss
leichter. Dann hieß es immer wieder: „Der ältere Bruder
hatte ihnen den Weg bereitet“.